Zwei an einem Tag
Wie's aussieht verbringe ich ein weiteres, mein voraussichtlich letztes Jahr in der Schule, mit einer neuen Klasse. Ich habe mein kleines, müheloses Abitur gemacht und wage mich an ein Mittel großes, welches ich nur aus Bequemlichkeit mache, nicht weil ich es brauche. Weil die Dinge in meinem Leben nicht so laufen wie ich will, glaub mir, nicht, weil ich nicht wüsste was ich will oder wie ich es erreiche.
Außerdem fühlte ich mich noch nicht bereit, kein Schüler mehr zu sein. (und das Schülerticket ist for free - what up)

Joel und Lucian.

Die erste Woche war nicht ungewöhnlich. Unangenehme Vorstellungen, absurde Namensschilder für die Lehrer und erste Eindrücke. Die meisten kannte ich schon aus der alten Parallelklasse. Einer davon ist Lucian.
Wir hatten vor etwas mehr als einem Jahr eine Versammlung. Ein Produktdesigner hat sich vorgestellt und unsere kommende Semesterarbeit erläutert. Lucian saß eine Reihe vor mir, wir saßen recht weit hinten. Er hatte seine schwarzen Kopfhörer auf, lockere, bequeme Klamotten an und starrte auf sein Handy. Die ganze Zeit. Zu der Zeit hatte ich keine Ahnung wer er ist, aber ich dachte: was für ein Idiot.
Zur Abschlusszeit machte unsere Deutschlehrerin für alle Klassen 'Unterrichts-Konsultationen'. Er war auch da, ich glaube jedes mal wenn ich auch da war. Er saß immer in der letzten Reihe, ich bin eher ein 2. Reihe Typ. Es ging um Erläuterungen/Analyse oder so. Manchmal wusste der ganze Raum nichts, mit bestimmten Textausschnitten anzufangen. Es gab einen Moment Stille (in meinem Fall Hoffnung, sie würde meinen Namen nicht aufrufen) und dann würde sie leise den Namen ''Lucian'' sagen. Hätte er nicht so weit hinten gesessen, hätte man ihn bestimmt besser verstehen können. Das passierte einige Male, und mehr als öfters waren seine Aussagen richtig.
Dann ist er eben kein all zu großer Idiot mehr.

Keine Ahnung was mein Teenie-ich sich wünscht oder was es sich vorgestellt hat. Aber der attraktivste Mensch in der Klasse ist Lucian. Auf einer Skala, in der er mir im sonstigen Schulleben nicht groß aufgefallen ist. Er ist ein bisschen.. jugendlich? jung? naiv? Selbstbewusst! ziellos. Ich hab einfach eine Schwäche für Idioten, i m sorry. Edi fragte ihn mal, was er nach seinem Abschluss machen will. ‘‘Ein Auslandsjahr, danach mal gucken. Kein bock zu arbeiten oder so.‘‘ Lucian hatte nicht wirklich Lust, mit ihm zu reden. Dass sie überhaupt am selben Tisch saßen war auch nur, weil wir etwas abzeichnen sollten. Lucian kam an unseren Gruppentisch, und legte sich auf das Möbelstück, dass wir offensichtlich gerade abzeichnen. ‘‘Lucian ist auf jeden Fall ein hübsches Accessoire.‘‘ sagte ich für alle hörbar. Ich hatte noch nie zuvor seinen Namen laut gesagt oder mit ihm geredet.
Edi ist ein recht gebildeter Mensch, mit Manieren und so, immer nett zu jedem. Zum Kennenlernfrühstück hat er uns Pfannkuchen gemacht(!). Was soll ich dazu noch sagen.
‘‘Wird das nicht irgendwann langweilig?‘‘ fragte Edi. ‘‘Bist du die Art von Mensch, der nach langen Ferien langweilig wird?‘‘ fragt Lucian vorwurfsvoll zurück. ‘‘Ja schon‘‘ antwortet Edi. ‘‘Meine Freunde arbeiten auch alle nicht, demnach ist doch alles schick‘‘. Damit beendete Lucian das für uns Zuhörer sehr unangenehme Gespräch.

Sein Profilbild auf Whatsapp ist mit einem Mädchen, um das er seinen Arm legt. Könnte – immer noch seine Schwester sein? right? wrong. Für eine Gruppenarbeit musste ich mich mal auf seinen Platz setzen. Sein Handy lag noch auf dem Tisch. Eine Snapchat Nachricht kam rein und der Bildschirm blinkte auf. Als Hintergrund, er mit dem Mädchen, in einem Bad oder so. Unten stand in violet/pinker Schrift ‘‘BABE‘‘.

An einem Montag hatten wir das erste mal Wirtschaft, mit einem Lehrer der mich bereits kannte. Die Raumnummer stand nicht auf dem Plan, also kamen D. und ich zu spät. Es war das neue Gebäude, dass über den Sommer fertig gebaut wurde und etwas abseits des ursprünglichen Schulgeländes ist. Ich klopfte, öffne die Tür und Flüstere ‘‘Morgen‘‘. ‘‘Morgen T., Morgen D.‘‘ flüstert er sarkastisch zurück. Wir setzten uns an die Wandseite, mit Blick aus den Fenstern. Die Tische waren wie ein U aufgebaut. Gegenüber sah ich Lucian. Zwei mal.

Für mich war das leider keine dramatische Überraschung. Ich hatte ihn bereits an Bushaltestellen getroffen. Irgendwann, lief er über die Straße. Zwei Minuten später.. nochmal? Es gab einfach zwei von diesem Typen. So sehr faszinieren die mich nicht, aber es ist so cool. Nichts ist besser als Ringer, Prestige, Zack und Cody usw. Beweis: https://www.youtube.com/watch?v=ijnxTg2Uky8 , https://www.youtube.com/watch?v=G_JxIVAdQEE ! Ich hatte das immer gewusst, aber die beiden nie zusammen erlebt. Also komme ich rein, sehe zwei ziemlich identische Jungs neben einander sitzen und frage Sammy, die vor mir saß ‘‘Und wie unterscheide ich die jetzt‘‘. Sie schien nicht zu wissen wovon ich rede, ich deute auf die Jungs, egal ob sie es merkten oder nicht. Sammy sieht sie an und springt kurz erschreckt auf. ‘‘Oh gott! Ich rede einfach nicht mehr mit denen‘‘ Ich musste lachen.
Das war der einzige Tag, an dem Joel anwesend war. Wir hatten Physik und English und dann fehlte er etwa zwei Wochen. Zwei Wochen, in denen ich Höllenqualen gelebt habe, ungewiss ob er wiederkommen würde oder nicht. War er nur da, um seine Schulbescheinigung abzuholen fürs Kindergeld? Macht er lieber ein FSJ oder so, weil die Klasse schrecklich ist? Weil ich schrecklich bin? Ist es meine Schuld? Es ist schrecklich einen Zwilling zu vermissen, wenn man den anderen ständig vor Augen hat. Ich sah Lucian, dachte aw, er ist so hübsch – und – aw, er ist vergeben das ist falsch. Sein Dasein hat mich schlicht einfach aufgewühlt. Manchmal war ich etwas unhöflicher zu ihm als nötig, weil ich nicht schwärmen und flirten durfte.

Zurück zu den Skizzen mit Edi und Lucian: Kurz danach ging Annabell, die neben mir saß, mit Alex eine rauchen. Lucian setzte sich auf ihren Stuhl, um besser sehen zu können. Er fragte mich wegen des Schattens, wohin er fällt und so. Ich skizzierte ihm die Punkte auf sein Blatt und zeigte ihm, wie man ihn sich herleiten kann, wenn keiner da ist. Und wenn wir schon im Gespräch waren, fragte ich ihn was sein Bruder vorher an der Schule gemacht hat und woher ihre Namen kommen würden. Die beiden sehen aus wie.. Kroaten oder so. Ihre Haut ist dunkler als gewöhnlich. Aber.. total deutsch.

Ich habe bereits vorausgenommen, dass Joel wieder da war. Heute.
Diesen Beitrag hatte ich schon früher angefangen, aber die Energie ihn zu ende zu bringen hatte ich nicht, weil ich wegen Joel getrauert habe.
Es war wieder Montag. Der erste Block fiel aus. Ich öffne die Tür zum Physikraum und suche Lucian auf, wie jeden Morgen, um zu prüfen ob ich doppelt sehe. Diesen Morgen wurde ich nicht enttäuscht. Meine Laune war ungefähr bei.. sagen wir 5.5, weil Herr M. ziemlich tollpatschig und amüsant anzusehen ist während des Unterrichts, und als ich Lucian sah eine 7, weil er hübsch ist, und - ist das etwa? 7.5 - 8 - 8.5..

Die beiden saßen zwei Reihen hinter mir. Ich hasse das. Immer sitze ich so, dass ich niemanden unauffällig beobachten kann. Dafür konnte ich umso besser hören. Ihre Stimmen sind unterschiedlich. Joel redet langsamer, leiser. Und weniger Blödsinn. Lucian wirkte mit ihm selbstsicherer, mehr wie er. Ich hatte das Gefühl, er wollte Joel immer zum lachen bringen, wenn es möglich war.
Wir hatten auch wieder Sport. Wir bauten gleich das Volleyballnetz auf. Das Netz wurde aufgerollt, ich hielt das eine Ende. Neben mir war Lucian dabei, den Pfeiler aufzustellen. Ich wartete also einfach auf ihn und.. beobachtete ihn als ich mich auf das Netzende stützte. Er sieht trainiert aus, noch recht natürlich, beide. Ich sah evtl zu lange hin. Als ich aufblickte, war da Joel, der auf uns zu kam. Ich hab gar nicht realisiert was Lucian da gemacht hat, ob er Hilfe brauchte oder nicht. Ich war zu verträumt. Seine Arme haben abgelenkt, nicht meine Schuld. Dann standen beide vor mir und stellten den Pfeiler ein oder so, ich weiß es einfach nicht. Sie standen sich gegenüber und ich konnte mich nicht zusammenreißen und fange an unterdrückt zu lachen und versuche mich kurz wegzudrehen und zusammenzureißen. Während ich das versuche, kommt Lucians Hand auf mich zu, greift nach dem Netz und berührt meine Finger ein bisschen. ‘‘oh, sorry‘‘ entgegne ich ihm und überlasse es ihm. Ich konnte einfach nicht mehr. Das war zu viel, zu nah, zu viel. Überdosis.

Wehe er ist morgen nicht da.